DJ Phono – der Master of Deichkind Bühnenshows

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20. Juni 2018

Irgendwo in Hamburg-Bahrenfeld befindet sich das Lager von Deichkind, eine Halle mit kunterbunter Bühnengeschichte – von „Leider geil“-Ballons über riesengroße pinkfarbene Gehirne bis hin zu mit Smartphone benähten Overalls, die schon zehntausende von Festival-Besucher zum Ausrasten brachten. Mittendrin sitzt Henning Besser auf einem schwarz-weißen Hochsitz – er war nicht nur jahrelang Tour-DJ und Bühnenperformer von Deichkind, sondern konzipiert seit Jahren die aufwendigen Shows der Hamburger Hip-Hop- und Electropunk-Formation. Er ist Geschäftsführer von Deichkind Enterprises, unter deren Dach die Erstellung der Bühnenshows und die Durchführung der Konzerte passiert, und des hauseigenen Plattenlabels Sultan Günther Musik. Wir treffen den 39-Jährigen, der besonders bekannt ist unter dem Namen DJ Phono, zum Interview!

homtastics: Angenommen, du triffst jemanden in einer Bar, irgendwann kommt ihr auf den Beruf zu sprechen. Was antwortest du auf die Frage, was du so machst?

Henning Besser: Meistens sage ich, dass ich Konzertpianist bin – das ist natürlich eine Lüge, macht das Gespräch aber ein bisschen interessanter. Die Frage stelle ich mir selbst aber auch häufiger: Was mache ich eigentlich? Gerade letztes Jahr hatte ich ein Jahr, in dem ich relativ wenig berufliche Verpflichtungen hatte. Mir ist bewusst geworden, dass ich in den letzten zwanzig Jahren Berufsleben unheimlich viele unterschiedliche Dinge gemacht habe, die aber Musik und Kunst als Schnittmenge haben. Es gibt den Künstler in mir und in meinem eigenen Selbstverständnis sehe ich mich auch so, in der Realität bin ich aber auch Geschäftsmann und Firmeninhaber.

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Leider geil hier! Die heiligen Hallen von Deichkind, in the middle of Bahrenfeld – hier lagert jahrelange Arbeit von Henning.

Du bist Geschäftsführer von Deichkind Enterprises und des hauseigenen Plattenlabels Sultan Günther Music. Wo kommst du gerade her?

Ich komme gerade aus meinem Büro. Aktuell entwickle ich eine neue Bühnenshow für das neue Album von Deichkind – hier spielt nicht nur der Inhalt eine Rolle, sondern geht mit der logistischen und technischen Entwicklung Hand in Hand.

Ich stelle fest, dass eine Stunde am Tag Klavier spielen für mich mehr Musik machen bedeutet, als das Hin- und Herschieben von Klötzchen am Rechner die letzten 20 Jahre zuvor.

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In letzter Zeit war es etwas ruhiger um Deichkind – bis auf die neue Single mit den Beatsteaks. Wie kommt’s?

Wir haben uns eine kleine Auszeit gegönnt, um durchzuschnaufen – in den letzten Jahren war für uns sehr viel los, wir sind innerhalb von kurzer Zeit relativ erfolgreich geworden, das Team ist sehr stark gewachsen – es war eine turbulente Zeit. Um sich selber nicht immer zu wiederholen, ist es gut an gewissen Punkten ein bisschen Abstand zu seiner Arbeit zu bekommen und auch körperliche Energie zu tanken. Meine Band-Kollegen haben außerdem teilweise Kinder bekommen. Ich war viel in der Natur unterwegs und bin viel gereist, habe viele internationale Ausstellungen besucht. Die Tour mit den Beatsteaks ist für die Jungs eine kleine Inspirationsreise fürs kommende Album – so nennen sie das zumindest (lacht).

Erinnerungsjacke-Sybille-Hotz

Die Berliner Designerin Sybille Hotz hat eine Erinnerungsjacke für DJ Phono designt – dafür musste Henning tief in seinen Archiven und Erinnerungen kramen.

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei dir aus?

Einen gewissen Teil meiner Zeit bin ich allein, ich arbeite dann bewusst abgegrenzt von allen anderen, sonst kann ich mich nicht konzentrieren. Es gibt zwar ein Deichkind-Büro, ich habe aber schnell festgestellt, dass das nichts für mich ist. Ein Drittel meiner Arbeit besteht daraus, mich mit unterschiedlichen Leuten zu treffen. Ansonsten habe ich meine Rituale. Ich versuche regelmäßig morgens Sport zu machen, der Vormittag gehört mir privat. Den benutze ich, um Gedanken zu haben, ich gehe dann nicht ins Büro, lese keine E-Mails und nehme keine Anrufe entgegen. Ab mittags bin ich meistens im Büro, lese einmal meine E-Mails und schließe das E-Mail Programm wieder.

In älteren Interviews hast du erzählt, du hättest keine Hobbies? Ist das immer noch der Fall?

Nein ich habe keine Hobbys, aber ich spiele jeden Tag eine Stunde Klavier. Ich habe damit vor 10 Jahren angefangen – mit ungefähr 30. Vielleicht nehme ich ja doch irgendwann mal eine Solo Piano Platte auf.

Also bist du doch der Konzertpianist?

(lacht) Ich mache das Klavierspielen für mich. Wenn du professionell Musik zu tun hast, stellst du irgendwann nach acht oder zwölf Stunden im Studio fest, dass du eigentlich keine Lust mehr hast Musik zu hören. Ich kenne viele, die professionell Musik machen und privat wenig Musik hören, irgendwann sind die Kanäle voll. Für mich ist das ein Wiederentdecken von Musik, was mich als Kind schon an Musik fasziniert hat – der Spaß am Hören. Ich spiele Klavier, um der Musik selber zuzuhören. Ich stelle fest, dass eine Stunde am Tag Klavier spielen für mich mehr Musik machen bedeutet, als das Hin- und Herschieben von Klötzchen am Rechner die letzten 20 Jahre zuvor. Als ich mein letztes Album 2011 veröffentlicht habe, hat sich der Unterricht, den ich bis dahin hatte, schon bemerkbar gemacht. Deine Wahrnehmung für Musik verändert sich.

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Bevor du die Konzeption für die Bühnenshows von Deichkind gemacht hast, warst du fünf Jahre der Deichkind DJ unter dem Namen „La Perla“. Wie kam es zu dem internen „Jobwechsel“?

Der Wechsel war 2005. Von 2000 bis 2005 war ich ein klassischer Dienstleister für Deichkind, ein Tour-DJ, der gebucht wurde. Ich war damals in meiner eigenen Wahrnehmung auch kein wirkliches Bandmitglied. Die Band ist irgendwann in eine Krise gestürzt: Die Zeit des deutschen Hip Hops war vorbei und es gab innerhalb der Band eine Unlust als Kopie vom amerikanischen Hip Hop weiterzumachen. Malte hat die Band verlassen und das zweite Album war nicht ganz so erfolgreich wie das erste. Dann stand die Frage im Raum: Was will man mit Deichkind eigentlich machen?

Ich hatte damals parallel eine Band mit Freunden namens Extra, die sich zu dem Zeitpunkt aufgelöst hat. Die Band hat das Deichkind, was es danach gab, vorweg genommen – sehr spielerisch auf einer kindlichen Performance-Ebene, durchgeknallt und wild – das war für mich ein Spielfeld, um mich als Bühnenperformer auszuprobieren. Diese Energie hat mich fasziniert und als sich das Projekt auflöste und bei Deichkind parallel Orientierungslosigkeit herrschte, habe ich die Chance erkannt, das, was mich bei der anderen Band interessiert hat, bei Deichkind überzustülpen. Ich habe mich dann relativ schnell als die Triebkraft hinter dem Wandel etabliert.

Du bist seitdem als künstlerischer Kopf für die Live-Shows von Deichkind verantwortlich. Was reizt dich daran, Bühnenshows zu gestalten?

Das Inszenieren hat mich relativ schnell interessiert, aus einem kleinen Initiationsmoment heraus ist alles Stück für Stück gewachsen zu dem, was es heute ist. Für mich ist es besonders spannend, mit den Grenzen von Scham zu spielen, Dinge auszuhalten, die einem unangenehm sind – das ist ein riesiges Spielfeld, was auch die anderen in der Band angesteckt hat und für alle sehr befreiend ist. Daraus haben sich verschiedene künstlerische Phasen entwickelt.

Deichkind-Lager

Hast du komplette Narrenfreiheit, wenn du die Bühnenshows für die Jungs entwickelst?

Jein, da geht es viel um politisches Kapital, ich genieße bei allen ein großes Vertrauen, das ich mir über die Jahre erarbeitet habe. Wir haben irgendwann angefangen die Proben zu filmen und ich habe die Jungs gebeten, die Beurteilungen nicht anhand dessen vorzunehmen, wie sie sich fühlen, sondern wie sie das wahrnehmen, wenn sie es auf der Aufnahme sehen. Irgendwann haben wir uns große Spiegel gekauft, wie man sie aus dem Ballettstudio kennt.

Und ich bin ein sehr energischer und durchsetzungsfähiger Charakter – ich setze mich stark dafür ein, dass Ideen, die mir wichtig sind, auch umgesetzt werden. Mit Widerständen muss man aber auch umgehen können. Früher habe ich das manchmal als nervig wahrgenommen, irgendwann aber verstanden, dass das wichtige Informationen sind. Wir sind eine Gruppe von sehr unterschiedlichen Charakteren und ich weiß, wenn die Idee nicht bei zwei von den sechs auf Resonanz stößt, ist die Idee vielleicht noch nicht gut genug ausgearbeitet. Ich nehme das als Ansporn, die Überzeugung der anderen auch zu erlangen.

Die aktuelle Bühnenshow zeigt, dass man aus einer Truppe von ungelenkigen Dicken ne’ boybandartige Truppe machen kann.

Wie entwickelst du Konzepte für die Bühnenshows?

Es gibt mehrere Ebenen, die zusammenlaufen. Viele meiner Freunde sind Künstler, Gespräche drehen sich oft um Kunst und Ästhetik und das beeinflusst vieles, was in meinem Kopf vorgeht. Außerdem habe ich zwei wichtige Teammitglieder: Stefan, mein Ingenieur, mit dem ich technische Möglichkeiten erörtere und Björn, mit dem ich immer im Austausch stehe. Manchmal setze ich mich auch mit Bleistift und Papier hin oder drucke Bilder aus, sortiere sie thematisch und schaue, was das mit mir macht. Außerdem schaue ich mir modernen Tanz und Ausstellungen an und gehe ins Theater – ein bewusstes sich inspirieren lassen. Dazu zähle ich aber nicht nur Kunst, sondern auch Natur. Ein künstlerischer Verdichtungsprozess bedeutet für mich eigentlich, auf verschiedenen Ebenen kontinuierlich am Ball zu bleiben und darauf zu vertrauen, dass dir Ideen irgendwann zufliegen.

Das heißt, dein Ausgangsmaterial sind nie die neuen Songs von Deichkind?

Da sprichst du ein interessantes Problem an. Für die Bühnenshows, die wir aktuell machen, plane ich immer drei Jahre Entwicklungszeit und Fertigung ein. Ich muss also zu einem Zeitpunkt anfangen, an dem noch überhaupt nicht an inhaltlichen oder musikalischen Themen gearbeitet wird. Es gibt einen Metarahmen, an dem ich universell arbeite – beim letzten Mal waren das zum Beispiel die computergesteuerten Säulen, die einen sehr flexiblen Rahmen für die Show vorgeben. Wenn dann aber einzelne Songs fertig sind, gibt es oft  ganz konkrete Ideen für Inszenierungsmöglichkeiten.

Ich unterteile die Deichkindära in drei unterschiedliche Phasen. In der ersten Phase war man mit Müllsäcken auf der Bühne und hatte vielleicht gerade noch eine Hüpfburg und ein Trampolin dabei, dann die Phase, in der wir immer mehr mit Inszenierung gearbeitet haben und schon einzelne, komplexere Teile auf der Bühne hatten bis hin zur aktuellen Bühnenshow, die zeigt, dass man aus einer Truppe von ungelenkigen Dicken auch ’ne boybandartige Truppe machen kann.

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Bist du noch bei jedem Konzert vor Ort?

Mittlerweile nicht mehr. Ich habe bis 2011 auf der Bühne gestanden – irgendwann wurde mir das aber zu viel, Regisseur und Bühnenperformer gleichzeitig zu sein – das ist auch ein bisschen schizophren, es sind ganz unterschiedliche Rollen mit unterschiedlichen Anforderungen. Irgendwann hatte ich das Kapitel für mich abgeschlossen. Am Anfang einer Tour bin ich natürlich immer dabei. Seit 2015 haben wir unser Team allerdings so aufgestellt, dass ich bei den Auftritten nicht mehr dabei sein muss. Für mich ist das ein willkommener Luxus, mal an einem Wochenende nicht mit auf ein Festival fahren zu müssen, weil meine Arbeitsbelastung eh schon sehr hoch ist.

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Für die letzte Show wurden hunderte von Smartphones an die Kostüme montiert – besonders gefreut hat sich darüber der Assistent, der alle Handys laden durfte.

Wikipedia schreibt, dass du im Alter von 15 Vize-Europameister im Scratchen warst? Stimmt das?

Das war mit 18, mein Geburtsdatum stimmt bei Wikipedia auch nicht, aber ich kann es witzigerweise selbst nicht ändern, da es schon in mehreren Artikeln verwendet wurde und ich den Nachweis erbringen müsste, dass die anderen Journalisten gelogen haben. (lacht)

Was warst du für ein Typ mit 15? Was hast du damals für Musik gehört?

Ich komme aus einer Kleinstadt, aus Rendsburg, und mit 11 habe ich angefangen Basketball zu spielen – das war meine große Sportleidenschaft als Jugendlicher. Die Basketballszene war relativ eng mit der Rapszene verknüpft. Als ich 13 war, habe ich mit den 16- und -17-Jährigen gespielt, die amerikanischen Rap gehört haben. Das war auch die Phase als sich der deutsche Hip Hop emanzipiert hat – so bin ich damit in Berührung gekommen. Ich habe dann Breakdance, Rappen, Musikproduktion, Scratching und Graffiti ausprobiert und festgestellt, dass ich mich hinter den Plattentellern am wohlsten fühle – vorne am Mikrofon wollte ich nicht stehen.

Aber auf der Bühne hast du dich wohlgefühlt?

Bei den ersten Deichkind-Auftritten war ich nicht so scharf darauf hinter dem DJ-Pult hervorzukommen – umso schöner ist es, dass ich mich getraut habe, auch diese Seite auszuleben. Ich habe neulich mal zwei unterschiedliche Persönlichkeitstest gemacht – in dem einen kam heraus, dass ich introvertiert sei, in dem anderen, dass ich extrovertiert sei. Die wenigsten Menschen sind nur das eine oder nur das andere. Ich glaube schon, dass ich einen extrovertierten Teil in mir habe, ich glaube aber, dass der im Älterwerden ein bisschen am ausklingen ist oder ich das Gefühl habe, das ausgelebt zu haben, ohne etwas zu vermissen.

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Links: „Die Schuhe und das Konfetti erinnern mich an einen schönen Abend auf einer tollen Konfetti-Party in Berlin. Das Schöne war, dass am nächsten Tag die Stadt voller Konfetti war. Aus der ganzen Welt kamen die Menschen zu solchen Partys, und ich fand die Vorstellung schön, dass das Konfetti über die ganze Welt getragen wird. Noch heute finde ich in meinem Koffer Reste“, erzählt Henning. Rechts: Mehr Gehirn geht nicht!

Du hast damals als reiner Hip Hop DJ angefangen. Wie bist du dann zum Elektronischen gekommen?

Das war sehr stark mit meinem Umzug nach Hamburg verknüpft. Damals in der Kleinstadt gab es ja noch kein Internet und mein Fernseher hatte nur drei Programme – ich kannte also nichts anderes. Als ich nach Hamburg zog, lernte ich damals Bent Angelo Jensen kennen, der das Label Herr von Eden macht. Er hat mich im Alter von 19 mit in den Pudel genommen. Techno war für mich bis dahin DJ Bobo, was ich völlig schrecklich fand.

Zu der Zeit war French House sehr stark und ich habe schnell gemerkt, dass der Ursprung von House die gleichen Wurzeln wie der Hip Hop hat. Die ganzen französischen Acts haben auch von den Soul- und Funk-Platten gesampelt wie meine Hip-Hop-Kollegen das damals auch gemacht haben. Weil mich dieses Wettkampf-DJing damals nicht mehr so interessiert hat, fand ich es ganz spannend einfach nur aufzulegen anstatt ein anspruchsvolles technisches Showcase zu machen. Für mich gab es bis dahin Musik zum Tanzen gar nicht – bei uns in der Kleinstadt hätte ich nirgendwo auflegen können, wo Leute zum Tanzen hingekommen wären.

DJ Phono ist so ein Kinder-DJ-Name, den ich immer beibehalten habe.

Wann hast du das erste Mal in einem Club aufgelegt?

Das war so mit 19/20, also 1998/99. Freunde haben mich gefragt, ob ich mal auflegen möchte. Ich hatte mir dann überlegt, dass ich einen Mix aus meinen Funk-Platten und elektronischer Musik auflege. Ich hatte damals aber kaum elektronische Platten und musste mir dann Platten von meinem Kumpel Bent leihen. Ich habe dann 40 Minuten ein technisch sehr anspruchsvolles Set mit vier Plattenspielern gespielt, wo ich Funk, Soul und Techno zusammengemischt habe – das war dann mein Konzept für ein halbes Jahr. Irgendwann bekam ich Lust, auch mal im Pudel aufzulegen. Also habe ich Ralf, Booker des Pudel Clubs, gefragt und der hat gesagt: „Okay, du kannst hier dienstags mal spielen.“ Also habe ich dort regelmäßig dienstags gespielt und bald auch in anderen Clubs. Damals gab es die elektronische Szene, wie sie es heute gibt, gar nicht. Da gab es alternative Jugendzentren – die richtige Rave-Szene hat mich damals gar nicht interessiert, die hätten mich als Typ aus dem Hip Hop auch nicht ernst genommen.

Warst du damals auch schon unter dem Namen DJ Phono unterwegs?

Ja, den habe ich mir schon mit 14 Jahren gegeben. Am Mischpult gibt es den Phono-Eingang für den Plattenspieler – DJ Phono ist so ein Kinder-DJ-Name, den ich immer beibehalten habe. Heutzutage heißt ja auch kaum einer mehr DJ, es gibt ja nur noch ganz wenige, die sich DJ sowieso nennen. Da fühlt man sich manchmal wie ein Relikt (lacht).

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Wolltest du schon immer hauptberuflich DJ werden?

Es war schon ein Traum von mir mal was mit Hip Hop zu machen. Ich komme aus einem Elternhaus, in dem das aber nicht so gefördert wurde, bei mir entstand bei nicht der Eindruck: Super, ich werde jetzt Hip-Hop-Künstler und davon lebe ich! Dafür gab es damals gar keine Perspektive. Als es Richtung Abitur ging, habe ich natürlich überlegt, was ich vielleicht mal machen möchte. Weil ich technisch sehr interessiert war, kam zum Beispiel Toningenieur in Frage. Was für mich in meiner Jungendzeit sehr prägend war: Ich habe vier Jahre bei der Familie meines besten Freundes jeden Tag gearbeitet und quasi eine komplette handwerkliche Ausbildung erlernt. Der Vater ist eigentlich Unternehmer gewesen und ich habe vier Jahre lang mitbekommen, was es heißt Unternehmer zu sein – er war ein sehr vielseitig begabter Mensch, musikalisch, sprachlich und handwerklich – das war ein aufregender Erwachsenenspielplatz. Außerdem ist mein Vater Ingenieur.

Ein Erlebnis, das mich dann komplett auf die Spur gebracht hat, war ein Hip-Hop-Abend – da kam ein alter Basketballkollege, der in Hamburg lebte, auf mich zu und fragte mich, was ich denn machen will. Ich sagte, dass ich vielleicht Toningenieur werden will oder beim NDR eine Ausbildung zum Mediengestalter machen möchte. Und er antwortete: „Mach das bloß nicht, das ist der letzte Scheiß! Das mache ich gerade, da ist man nur Kabelträger! Ich sage dir jetzt genau, wie du das machen musst: Es gibt dieses eine Buch “Praxis im Musikbusiness“, da steht alles drin, das haben sich alle gekauft, Tobi, das Bo, Fettes Brot – das musst du einfach nur lesen und dann machst du einfach Musik.“ Und dann bin ich direkt am Montag in die Buchhandlung gegangen und habe das Buch bestellt, mittwochs war es da, ich habe es gelesen und wusste, dass ich Musik machen möchte. (lacht) Hinterher habe ich mich jahrelang über mich selbst erschrocken, wie ich so mutig und naiv an die Sache rangehen konnte – aber es hat dann doch irgendwie gut funktioniert.

Würdest du es noch mal genauso machen?

Ich habe überhaupt keinen Grund, Dinge anders zu machen. Ich bin über viele Erfahrungen, die ich gemacht habe, sehr froh, auch über Dinge, die ich so vielleicht nicht noch mal machen würde. Es ist natürlich eine sehr romantische Vorstellung Konzertpianist zu sein, aber ein Teil von mir könnte es sich sehr gut vorstellen, nichts anderes zu machen als Klavier zu spielen. Aber es ist mir auch völlig klar, dass in dem Moment, wo du dieses Leben hast, es sich als ein ultra hartes Leben herausstellt. Das kenne ich auch als DJ: reisen, alleine sein und so weiter. Für viele klingt das erstmal glamourös, aber auf längere Sicht ist es anstrengend, nervig und körperlich zehrend. Wenn du das wirklich lebst, verliert es schnell von dem, was du dir darunter vorstellst.

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Wie oft bist du noch als DJ Phono unterwegs?

Aktuell gar nicht. Ich konzentriere mich zur Zeit ausschließlich auf die neue Deichkind Bühnenshow. Mal sehen, wie es weitergeht, wenn ich damit fertig bin.

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Lass mich rein! DJ Phonos Standard–Gästeliste im Innenfutter der Jacke.

Wie kam es zu der Erinnerungsjacke, die die Designerin Sybille für dich kreiert hat?

Ich fand schon immer den Aspekt der Erinnerung insofern spannend, als dass ich Lebensphasen mit Songs und Emotionen sehr stark verknüpfe.
Ich habe immer ein bis zweimal im Jahr diese Dj-Mixe gemacht, das war für mich wie ein Jahresrückblick. Wenn ich sie mir anhöre, kann ich mich sehr stark in die Zeit hineinversetzen, wie war die Stimmung, wie habe ich mich da gefühlt, erinnere einzelnen Situationen, die damit abgespeichert sind. Ende 2016 hatte ich für ein Onlinemagazin einen Mix wie eine Art Tagebuch gemacht – das hat Sybille gelesen und kam mit der Idee dieser Jacke zu mir. Eigentlich war ich in meinem freien Jahr und wollte nicht so viele Projekte haben, aber sie war mir so sympathisch, dass ich ja gesagt habe.

Ich habe Geschichten aus meiner bisherigen Dj- Karriere ausgewählt, die eine Bedeutung für mich haben. Dann habe ich meine Archivkiste genommen und in meinen Erinnerungen gestöbert. Es war ein schöner Prozess, diese 23 Jahre zu reflektieren. Wir haben uns dann öfters getroffen und korrespondiert, bis die Jacke fertig war.

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Was finden wir zum Beispiel auf der Jacke?

Was ich ganz schön finde ist, dass so eine Jacke einzelne Erinnerungen zu etwas Ganzem zusammenfügt. Was ich persönlich wichtig fand und was sich auf der Jacke wiederfinden sollte war, dass ich ab einem gewissen Zeitpunkt in meiner Karriere eine spezielle kommunikative Ebene in meine DJ-Sets eingeflochten habe. Damals hat mich der Club auch als sozialer Raum interessiert, ich habe somit zu Beginn meiner Sets den Raum in drei Zonen eingeteilt. Einmal in den Sektor 1, den Tanzsektor, in den Sektor 2, den unentschlossenen Raum um die Tanzfläche herum, und dann gab es den dritten Sektor, den langweiligen Sektor hinten an der Bar, wo ich gesagt habe: Wenn ihr da bleibt, wird es auch ein langweiliger Abend, ihr könnt selbst entscheiden, in welcher Zone ihr sein wollt! Damit habe ich gespielt, diese kommunikative Ebene fand ich sehr spannend. Nicht mehr nur einfach der DJ sein, der Musik spielt, sonder auch ein Performer. So kam die Idee, die Jacke in mehrere Zonen einzuteilen.

Genauso ist ja auch Backstage ein Thema, Innen und Aussen, wir haben dann entschieden, dass der Innenteil der Jacke den geschlossenen Backstage-Bereich wiederspiegelt. Die Hierarchie zwischen Bühne und Publikum war immer ein Thema. Als Künstler ist es spannend, diese Hierarchie aufzuweichen, sodass du ein gemeinsames Erlebnis schaffst. Im Idealfall verschmelzen alle miteinander, das ist dieser Auflösungswunsch. Aber wenn man ehrlich ist, gibt es doch diese Grenze. Da oben ist die Bühne, da oben steht er, du darfst in Backstage und die anderen nicht, oder du nimmst alle mit rein. Diese Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Zuständen fand ich immer sehr reizvoll.

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Ich bin auf eine Art Voyeur, ich beobachte gern Menschen und es ist toll zu sehen, wie Leute auf der Tanzfläche zusammenkommen.

Das heißt, du hast die Menschen während deiner Sets beobachtet?

Ja, es gab mal einen Abend, da habe ich ganz bewusst mehrere Stunden nicht nach oben geschaut und wenn du dann hoch guckst, ist es ein heftiger Moment, zu erkennen, wem oder was du ausgesetzt bist.

Es gibt natürlich auch Abende, an denen du gelangweilt bist; dann fängt man an, die Leute zu beobachten… manchmal bist du nach außen irgendwie da, nach innen aber eigentlich abgemeldet, das ist wohl ein seelischer Schutzmodus. Wobei es vielleicht auch das Ziel ist, sich an den eigenen Haaren herauszuziehen. Ich bin auf eine Art Voyeur, ich beobachte gern Menschen und es ist toll zu sehen, wie Leute auf der Tanzfläche zusammenkommen. Da überlege ich gern, was ich am Ende spiele und freue mich, wenn die beiden am Ende zusammen tanzen. So sieht man vieles und das macht auch Spaß, manches ist sehr skurril, manches will man gar nicht sehen.

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Rechts: „Ich erinnere mich auch an Abende, wo kaum Besucher waren: Einmal nur sieben Leute, das war in Köln, weil der Termin falsch kommuniziert wurde. Da kann man total frustriert sein und es auf sich beziehen, ich dachte: Scheiße, hier kommt keiner mehr! Aber das war trotzdem einer der tollsten Abende, weil wir einen sehr intimen Moment hatten, den jeder immer für sich behalten wird.“

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Hattest du schon Situationen als DJ, in denen sich deine Energie nicht auf das Publikum übertragen hat?

Natürlich! Aber das sind trotzdem tolle Momente, man macht es dann für sich und hat selber viel Spaß. Aber ich habe auch festgestellt, dass wenn man mit Energie reinkommt, es meistens doch ansteckend ist, die Leute können sich dieser Energie nicht ganz entziehen. Das ist ein unglaublich sich selbst verstärkendes System. Ich gebe Energie herein und das Publikum gibt welche zurück. Ich erinnere mich auch an Abende, an denen nur sieben Besucher da waren, weil der Termin in der Presse falsch kommuniziert wurde – das findet man auch auf der Jacke. Da kann man total frustriert sein und es auf sich beziehen, ich dachte: Scheiße, hier kommt keiner mehr! Aber das war trotzdem einer der tollsten Abende, weil wir einen sehr intimen Moment hatten, den jeder immer für sich behalten wird.

Gehst du selbst noch feiern?

Aktuell nicht. Ich bin immer gern tanzen gegangen, aber im Moment zieht es mich wenig raus, weil es manchmal auch keine Partys gibt, die mich interessieren. Manchmal vermisse ich DJs oder Künstler, die in meinen Sphären denken und das in ihrer Arbeit sichtbar beziehungsweise erlebbar machen. Aber es liegt auch am Älterwerden, die körperliche Komponente darf man nicht unterschätzen. Früher habe ich zwei Nächte hintereinander je acht Stunden aufgelegt, das hat der Körper so weggesteckt. Mit 39 ist das einfach anders! Du legst Samstag nachts auf, reist nach drei vier Stunden Schlaf zurück und brauchst bis Mittwoch, um dich wieder an den normalen Rhythmus zu gewöhnen.

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„Lange Zeit war auf dem alten Mojo-Klub eine große alte Leuchtreklame, ein Stern mit Tastatur, die fand ich immer wahnsinnig toll. Ich wollte da immer auflegen, und irgendwann haben die mich gefragt und ich habe gesagt, als Gage möchte ich bitte dieses Schild haben. Und ich habe es bekommen! Ich habe es zwar nie abgeholt oder abgebaut, aber immer wenn ich da lang fuhr war es irgendwie toll, dass es mir gehörte. Oben rechts steht meine Miles&more Nummer: Es gibt unter DJs nur zwei Gesprächsthemen: entweder geht es um Technik, Equipment und Lautsprecher oder um Bonusmeilen. Ich kannte meinen Stand nie.“

Was war dein allerschönstes Erlebnis als DJ Phono?

Das ist ganz schwer zu sagen, dafür gibt es zu viele. Wenn ich es mal abstrakter formulieren würde, ist das Tollste einfach die Begegnung mit Menschen, Menschen, die man vorher nicht kannte und mit denen man dann Momente teilt. Ich habe ja immer gern sehr lange DJ-Sets gespielt, sodass man über diese lange Zeit, die man miteinander verbringt, sich als DJ in einen Zustand hineinmanövriert.

Mich hat immer das Thema Freiheit als plakativer Überbegriff interessiert, gewisse Songs zu spielen, die in dem Kontext gerade vielleicht absurd sind und kritisch gesehen werden, aber unter gewissen Umständen ist es absolut möglich diese Songs zu spielen – eigene Barrieren, die man manchmal hat, weil man den Künstler doof findet oder es 1.000 Mal im Radio lief, zu überwinden. Man bringt sich in den Zustand, in dem man frei dazu ist. Das ist sehr energetisch, musikalische Grenzen werden aufgelöst aber auch Grenzen zwischen den Menschen, man gibt sich als Teil des Ganzen hin. Das sind magische Momente, die ich immer wieder erlebt habe.

Vielen Dank für das ausführliche und ehrliche Interview, Henning!

Hier findet ihr Deichkind:

Fotos: Pelle Buys

Layout: Carolina Moscato

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