Visual Designer Michael Felix Kijac hält ein Plädoyer für den Quereinstieg

Michael Felix Kijac begann seine Selbstständigkeit als Grafikdesigner – mit der Zeit merkte er jedoch, dass er seine Kreativität in unterschiedlichen Medien und Dimensionen ausdrücken möchte. Heute gestaltet er als Visual Designer Markenidentitäten ebenso wie Räume. Sein Faible für Inneneinrichtung konnte er zuletzt bei der Renovierung seiner neuen Wohnung mitten auf St. Pauli ausleben, die vor dem Einzug komplett saniert werden musste. Seit August wohnt Michael hier mit den Katern Hercules und Achilles. Nebenbei ist Michael Gründer von „Typewine“, einem Label für Weinetiketten mit humorvollen Sprüchen in schöner Typografie. Wir sprechen mit dem 34-Jährigen über seine Selbstständigkeit, seine Begeisterung für Typografie und warum er seine Wohnung vergolden will.

homtastics: Du bist selbstständig mit deinem eigenen Grafikbüro für Kommunikationsdesign & Gestaltung. Wie hast du die letzten Monate erlebt?

Michael Felix Kijac: Ich hatte Glück. Viele meiner Kunden wollten die Zeit nutzen und investieren, in neue Räumlichkeiten oder ein neues Design. Dadurch hatte ich einiges zu tun. Und auch privat war ich gut beschäftigt: Im August bin ich in diese Wohnung gezogen und habe sie vorher mit der Hilfe meines Papas saniert und renoviert. Der Vormieter hatte Jahrzehnte hier gewohnt und die Wohnung war in einem sehr schlechten Zustand. Ich habe die Küche und das Bad komplett neu gemacht, die Dielen abgeschliffen, nicht nur Wände und Decken, sondern auch Türrahmen und Fenster neu gestrichen und uns viele individuelle Lösungen für die einzelnen Räume überlegt.

Ich habe die Küche und das Bad komplett neu gemacht, die Dielen abgeschliffen, nicht nur Wände und Decken, sondern auch Türrahmen und Fenster neu gestrichen und uns viele individuelle Lösungen für die einzelnen Räume überlegt.

Musstest du deine Arbeit Corona-bedingt verändern?

Ich muss leider öfters von zu Hause arbeiten und kann meine Kund*innen nicht persönlich treffen. Aber dennoch muss ich mir zum Beispiel eine Baustelle persönlich ansehen – mit Maske und nötigem Abstand – um die Räume beurteilen zu können, das ist unumgänglich. Normalerweise treffe ich meine Kund*innen gerne persönlich, um sie kennenzulernen und zu verstehen, was ihnen wichtig ist und was sie sich wünschen.

Wie kam es eigentlich dazu, dass du dich selbstständig gemacht und dein eigenes Grafikbüro gegründet hast?

Ich habe hier in Hamburg eine Ausbildung bei der PR-Agentur fischerAppelt gemacht und anschließend bei der Werbeagentur Jung von Matt gearbeitet. Ich habe einfach gesehen, wieviel Zeit die Mitarbeiter*innen dort verdödeln, wie sie ihr Leben dort verbringen. Ich hatte schon ein Leben. Ich wollte das nicht an den Nagel hängen und nur noch Zeit mit meiner Arbeit und meinen Kolleg*innen verbringen. Ich wollte mich nicht abends um 21 Uhr, nach 12 Stunden Arbeit, im Büro verabschieden – „Ich würde jetzt gehen, oder gibt es noch etwas zu tun?“ – und dann zur Antwort bekommen: „Du kannst auch gerne noch bleiben, wenn du noch eine geile Idee entwickeln willst.“ Deshalb kam ich zu dem Entschluss, dass ich lieber etwas Eigenes machen möchte. Ich wollte mir meine Projekte selbst aussuchen können und auch noch Zeit für mein Privatleben haben.

Kater Hercules ist der Mitbewohner von Michael
Risse oder Bruchstellen in den Wandkacheln hat Michael nach der japanischen „Kintsugi“-Technik mit Gold aufgewertet.

Mir persönlich ist es wichtiger, Projekte und Zeit eigenständig gestalten zu können, als für die größten Weltkonzerne zu arbeiten.

Also war der Schritt in die Selbstständigkeit eine bewusste Entscheidung gegen die Festanstellung in der Branche?

Ich habe kürzlich Freunde von mir in Nürnberg besucht, die für Puma und adidas arbeiten. Wenn die Storys erzählen – „Wir shooten jetzt in L.A.“ und so weiter – dann hört sich das total toll an, aber sie haben auch einen Knochenjob, das kann ich dir sagen. Mir persönlich ist es wichtiger, Projekte und Zeit eigenständig gestalten zu können, als für die größten Weltkonzerne zu arbeiten. Wenn ich ein Projekt habe, dann brenne ich dafür. Aber ich habe gemerkt, dass ich glücklicher bin, wenn ich selbstbestimmt arbeite.

Genauso möchte ich Zeit für Reisen haben, weil mich Reisen so sehr inspirieren. Als ich während meines Kommunikationsdesign-Studiums für ein Jahr in Israel war, habe ich so viel gelernt und die Zeit hat mich so geprägt.

Den Blumenstrauß in der Zimmermitte hat der Flower Artist Tam gestaltet.

Welche Leistungen bietest du mit deinem Grafikbüro mittlerweile an? Es ist gar nicht mehr nur Grafik, richtig?

Ich habe mit Grafikdesign, Corporate Design und Geschäftsausstattungen angefangen, auf dem Papier sowie digital. Mittlerweile mache ich auch die Konzeption und Gestaltung von Räumen. Ganz früher hatte ich auch mal darüber nachgedacht, Innenarchitektur zu lernen. Über die Jahre hat es sich ganz natürlich so entwickelt, dass meine Kund*innen das Design mit mir auch in Räume bringen wollten.

… Kennst du das, wenn man selbst gar nicht denkt, man sei der absolute Crack in etwas? Aber andere Menschen weisen einen darauf hin? (lacht) Erst durch Gespräche mit Freund*innen habe ich gemerkt, dass ich mich im Bereich Inneneinrichtung doch sehr gut auskenne. Ich dachte immer: „Ich bin ja kein Innenarchitekt, ich habe das nicht gelernt.“ Aber irgendwann wurde mir bewusst, dass ich genau weiß, wo ich welche Produkte beziehen kann, welche Hersteller es gibt, wie sich Räume gut nutzen lassen, und so weiter. Vieles ist einfach learning by doing.

Quereinsteiger werden ja auch immer normaler.

Ich bin eben kein Spezialist, sondern Generalist. Das hat seine Vor- und Nachteile, aber ich bin das gerne, weil dadurch mein Arbeitsalltag super abwechslungsreich ist.

Es wird ja immer wieder diskutiert, welche Jobs es in Zukunft noch geben wird … Und ich bin der festen Überzeugung, dass man immer gute Gestalter*innen brauchen wird. Allein, Ideen zu haben. Ich bin mit der Erwartung zur Uni gegangen: Da lernen wir, wie man kreativ arbeitet. Aber dann habe ich gemerkt, dass dir das gar keiner beibringen kann. Zudem leben wir heute in einer Welt, in der wir so viele Möglichkeiten haben. Da ist es doch völlig klar, dass sich auch neue berufliche Wege ergeben.

Es wird ja immer wieder diskutiert, welche Jobs es in Zukunft noch geben wird … Und ich bin der festen Überzeugung, dass man immer gute Gestalter*innen brauchen wird.


 

Und bei der Gestaltung von Räumen, zum Beispiel, bist du offenbar auch einfach mit viel Herzblut bei der Sache.

Ich finde das einfach faszinierend – zum Beispiel diese Wohnung: Ihr fühlt euch hier wohl, weil ich die Räume gestaltet habe. Es ist dieselbe Wohnung wie vor einem halben Jahr, aber vor einem halben Jahr hättet ihr die Wohnung wahrscheinlich noch nicht einmal betreten wollen. Durch Farben, Formen, Materialien, … kann man das Wohlbefinden oder die Emotionen so stark beeinflussen. Das macht mir einfach sehr viel Spaß.

Das Schönste ist, wenn Kund*innen mir sagen: Das hätte ich mir so nicht vorstellen können, aber es ist so geworden wie ich es mir gewünscht habe. Räume sind auch für Mitarbeiter*innen so wichtig. Das Corporate Branding sollte sich auch „hinter den Kulissen“ fortsetzen. Anders gesagt: Das, was man nach außen für die Kund*innen darstellen möchte, sollte auch intern, für die Mitarbeiter*innen des Unternehmens passieren. Das wird noch immer unterschätzt.

In deinen Arbeiten spielt besonders Typografie eine zentrale Rolle. Was begeistert dich so an Typo?

Ich liebe Typografie! Mit Typo kann man so viel machen. Meine Professorin im Studium hat mich darauf gebracht. Klar kannst du mit Bildern, Grafiken oder Icons arbeiten, aber wenn du nur einen Text hast und die Typografie den Inhalt des Textes gestalterisch genau widerspiegelt – das finde ich großartig. Typografie alleine kann so viel sagen.

Ich mag es auch, mit Schrift zu spielen. Im Rahmen meines Studiums habe ich zum Beispiel ein Magazin über meine Familie, die vom Balkan kommt, entwickelt und dafür eine Schrift designt, die eine kyrillische Schrift ist, die sich aber wie eine lateinische Schrift lesen lässt.

Weinetiketten von Michaels Label „Typewine“.

Ich trinke gerne Wein und hatte irgendwann die Idee, Wein-Etiketten mit Sprüchen in schöner Typografie zu gestalten.

Sind Design-Trends für dich relevant?

Das ist eine gute Frage … Design-Trends sind so eine Sache. In den vergangenen Jahren ist Design – zum Beispiel im Bereich Interior – viel erschwinglicher geworden. Jede*r kann sich mittlerweile schönes, trendiges Design für sein Zuhause leisten und kann bestimmte Stile imitieren. Natürlich schaue ich mir das auch sehr gerne an und schnappe auch einmal etwas auf, aber ich möchte keineswegs jeden Trend mitmachen oder aufgreifen.

In dieser Wohnung zum Beispiel hatte ich total Bock auf Gold. Ich habe unter anderem Risse oder brüchige Stellen in den Wandfliesen der Küche nach der japanischen Kintsugi-Technik mit Gold „geflickt“. Ich sollte nur aufpassen, dass ich nicht irgendwann alles vergolde. (lacht) Ich habe ein Jahr in Tel Aviv studiert. Durch meine Liebe zum Middle East gibt es auch einen Oriental Vibe in einigen Räumen. Im Sommer habe ich mich hier in der Wohnung wie im Urlaub gefühlt. Ich mag Veränderung und manchmal überkommt es mich und ich gestaltet etwas um, streiche eine Wand neu oder finde zufällig ein wunderschönes Möbelstück und kann nicht widerstehen. Auf meinem Instagram-Kanal „design, plants & hercules“ kann man den aktuellen Stand der Wohnung ganz gut verfolgen.

Du hast nebenbei auch noch das Label “Typewine” gegründet. Wie ist das entstanden?

Ich trinke gerne Wein und hatte irgendwann die Idee, Wein-Etiketten mit Sprüchen in schöner Typografie zu gestalten. Es hat etwas gedauert, bis ich den Shop gegründet habe, dann habe ich 2017 aber richtig losgelegt und war mit „Typewine“ auch auf diversen Design-Messen unterwegs. Besonders gut hat mir die Messe „showUP“ in Amsterdam gefallen. Die ist richtig gut kuratiert und hat viel schönes neues Design zu bieten. Den Aspekt finde ich auf Messen in Deutschland noch immer schwierig. Diejenigen, die meiner Erfahrung nach wirklich offen sind für innovatives, geiles Design, sind die Benelux-Staaten und Skandinavien. Aber mir war einfach wichtig, ein Projekt zu machen, bei dem ich ganz frei bin. Und ich habe so viele tolle Leute über „Typewine“ kennengelernt.

Im Sommer habe ich mich hier in der Wohnung wie im Urlaub gefühlt.

Wie funktioniert das mit den “Typewine”-Etiketten – sie lassen sich einfach auf Weinflaschen aufkleben?

Je, genau! Trinksprüche zum Aufkleben, sozusagen – sie tarnen die Weinetiketten, sehen gut aus, heben die Stimmung und machen jede Flasche persönlich. Erhältlich sind die Etiketten einerseits in meinem Online-Shop, in dem man sich als Privatkund*in eindecken kann, um Weingeschenke persönlicher zu gestalten. Andererseits sind meine Etiketten auch in Concept Stores erhältlich. Ich verkaufe also auch an Händler.

Welche Interior-Trends werden deiner Meinung nach noch größer werden?

Ich denke, dass sich Lehmfarben noch weiter durchsetzen werden. Das sind natürliche, ökologische Wandfarben, die einfach aus Pigment und Wasser angerührt werden, und die ein total schönes Raumklima schaffen. Ich habe sie auch für meine Wohnung genutzt – meine habe ich von „Fesche Wand“ bezogen. Ich mag natürliche Materialien. Für mich gibt es nichts Schöneres als Holz wie Eiche, Stein wie Marmor, Textilien aus Wolle und Seide. Wer sich mit diesen Werkstoffen umgibt, kann sich einfach nur wohlfühlen … Und ich glaube, das ist der zentrale Punkt bei Interior-Trends: dass es einem gut geht, an dem Ort, den man sich schafft.

Vielen Dank für das Gespräch, Michael!

Hier findet ihr Michael Felix Kijac:

 

Layout: Kaja Paradiek

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