Jan Fischer: Über das Leben in einem Transporter

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26. September 2018

Als Jan Fischer von seiner Mutter rausgeschmissen wurde, begann eine Zeit der Rastlosigkeit und Rebellion, die für ihn irgendwann auf der Straße endete. Doch der damals 18-Jährige biss sich durch, fand auf Umwegen einen Ausbildungsplatz und arbeitete sich zum Filialleiter eines Mobilfunkunternehmens hoch. Die Liebe zur Freiheit gab Jan trotzdem nie auf – heute lebt der 36-jährige Sales Director mal in seinem umgebauten T5 Transporter in Hamburg, mal in Brasilien oder auf Sri Lanka. Wir haben ihn am Hamburger Fischmarkt erwischt und über das Leben als Dauer-Camper, emotionale Sicherheiten und seine Zeit als Obdachloser gesprochen.

homtastics: Im April dieses Jahres bist du in dein Auto gezogen, ein weißer T5-Transporter. Wie kam es dazu?

Jan Fischer: Ich habe eine wilde Trennung hinter mir und möchte frei sein, kitesurfen gehen und Sonnenuntergänge sehen. Ich kann dort stehen wo ich möchte und mich auch im Winter aus meinen nassen Neoprenanzug pellen.

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Wann hattest du zum ersten Mal die Idee, in einem Bus zu leben?

Vor etwa 10 Jahren habe ich in Hamburg Straßenvertrieb für ein Mobilfunkunternehmen gemacht und bin in diesem Zuge mit einem Surfer ins Gespräch gekommen. Es ging um Telefonverträge und er meinte, dass er keinen braucht, weil er in seinem T3 lebt. Das fand ich so beeindruckend, dass sich diese Idee bei mir festgesetzt hat. Vor vier Jahren habe ich mir dann meinen eigenen Bus gekauft.

Wie kannst du dein Leben als Dauer-Camper mit deinem Beruf  vereinbaren?

Ich bin seit August 2017 Sales Director für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei einem StartUp namens Verve. Wir können arbeiten wann wir wollen, wie wir wollen und vor allen Dingen wo wir wollen. Das bedeutet beispielsweise, dass ich den kompletten Dezember nach Brasilien gegangen bin. Mein Tag fing um fünf Uhr morgens an für Calls und Mails. Nachmittags war ich dann Kitesurfen. Mitte Januar bin ich für einige Zeit in die Schweiz und nach Frankreich zum Snowboarden gegangen und den ganzen März war ich in Mexiko und habe da wieder in der Zeitdifferenz gearbeitet. Den kompletten Mai war ich noch mal auf Sri Lanka.

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Meine Mutter warf mich zu Recht raus und ich tingelte quasi obdachlos durch die Gegend.

Woher kommt dieser Drang nach Freiheit?

Ich bin bei meiner Mutter und meinen Großeltern aufgewachsen und habe relativ früh mit angefangen durch die Hamburger Clubs zu tingeln. Natürlich kam ich dabei auch mit Drogen in Kontakt, was schlussendlich dazu führte, dass meine Mutter mich mit 18 Jahren zu Recht rauswarf und ich quasi obdachlos durch die Gegend tingelte.

Wie lange warst du obdachlos?

Ich erzähle oft, dass diese Zeit zwei Jahre dauerte – aber so ganz stimmt das nicht. Mindestens ein Jahr davon habe ich in Stuttgart bei Punker-Freunden geschlafen oder habe auf 30 Quadratmetern mit einer Freundin gelebt und schwarz im Gartenlandschaftsbau gearbeitet. In der Zwischenzeit habe ich mal hier, mal da geschlafen. Trotzdem eine heftige Erfahrung.  Wenn ich heute einen Obdachlosen sehe, drücke ich ihm lieber einen Geldschein als eine Münze in die Hand, weil ich weiß, wie hart das Leben auf der Straße ist.

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Überall wo ich war, habe ich mein Bestes gegeben und versucht, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.

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Wie bist du da wieder raus gekommen?

Mit Anfang 20 haben mich die Feldjäger der Bundeswehr in Stuttgart gefunden und für ein paar Tage nach Ulm in den Knast gebracht, weil sie dachten, dass ich fahnenflüchtig bin. Danach wurde ich nach Holland in eine deutsch-holländische Partnerkaserne gebracht.

Das klingt nach einem krassen Wechsel – von der Obdachlosigkeit zur strukturierten Bundeswehr.

Ich dachte damals, dass es das Beste ist, was mir passieren konnte. Ich hatte ein Dach über dem Kopf und täglich genug zu essen. Dafür musste ich Struktur und Haushaltsführung lernen – das war schon heftig! Nach drei Monaten war die Grundausbildung vorbei, ich bin nach Warendorf in die Sportschule der Bundeswehr gegangen und hatte eine ziemlich komfortable Einzelstube. Da habe ich knapp 12 Monate verbracht.

Hattest du einen Plan, wie es danach weitergehen sollte?

Ich war 22 Jahre alt und bin zurück nach meiner Bundeswehrzeit in eine 12 Quadratmeterwohnung in Hamburg gezogen. Ich hatte einen schlechten Realschulabschluss und war auch schon relativ alt für eine Ausbildung. Dann bin ich über verschiedene Zeitarbeitsfirmen an unterschiedliche Jobs gekommen. Überall wo ich war, habe ich mein Bestes gegeben und versucht, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Bei einem Münzhändler zum Beispiel war ich immer der Erste und Letzte im Laden und habe mehr Pakete gepackt als jeder andere. Die haben mir dann einen Ausbildungsplatz gegeben.

Wo kam auf einmal deine Motivation her?

Ich glaube, das war so eine Mischung aus Begeisterung und Angst. Ich bin ohne Vater aufgewachsen und mein Großvater hat mir mal gesagt, dass ich mit Leistung glänzen muss, wenn ich nichts auf dem Papier nachweisen kann. Nach ein paar Monaten in der Ausbildung hat das Unternehmen aber meinen Geschäftszweig abgestoßen und ich stand ohne Job und mit abgebrochener Ausbildung da. Also habe ich mir eine neue Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in einem Jeans-Laden organisiert. Später bin ich nach Köln gegangen um im Mobilfunk zu arbeiten. Ich habe dort über eine Zeitarbeitsfirma bei der Telekom angefangen und die haben mich dann zu mobilcom debitel weiterempfohlen. Dort habe ich mich innerhalb eines Jahres zum Fillialleiter hochgearbeitet.

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Anfangs war ich skeptisch, was das Leben im Transporter angeht. Und natürlich gab es einige Hürden.

Respekt! Mittlerweile bist du die meiste Zeit in Hamburg. Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus – auch in Bezug auf dein Leben im Transporter? Wie organisierst du dich?

Wenn ich nicht gerade im Ausland bin, bin ich unter der Woche morgens beim Sport, dusche dort und gehe dann rüber ins Co-Workingspace Mindspace. Sonntags fahre ich gern in ein Waschcafé im Hamburger Stadtteil Ottensen, gucke Tatort während die Wäsche läuft oder mache dort montagmorgens mal ein Meeting. Die Wochenenden verbringe ich oft auf Festivals, wo ich dann auch für meinen Arbeitgeber Kunden treffe. Wir sind ein Marketingkanal für Festivals und ermöglichen Fans, sich als Markenbotschafter zu registrieren und Tickets in ihrem Freundeskreis zu vertreiben. Als Gegenleistung bekommen sie dann spezielle Belohnungen wie zum Beispiel Backstage Access oder ein Meet & Greet mit ihren Lieblingskünstlern. Und sobald der Wind gut ist, bin ich gern auf Fehmarn zum Kitesurfen.

Wie ist dein Transporter ausgestattet, damit du darin Leben kannst?

Ich habe einen normalen T5 Transporter, der etwas schick gemacht wurde. Da ist alles drin, was man zu dauerhaften Leben braucht. Als ich ihn gekauft habe, war der ganz hässlich – komplett leer und hatte 70.000 Kilometer runter. Bus4fun und Udos Garage aus Rostock haben mir dann das komplette Interieur gemacht. Ich habe den Innenraum filzen und isolieren lassen und eine Küche, eine Schlafbank und drehbare Vordersitze einbauen lassen. Und gerade mache ich viel mit der Bullifaktur aus Hamburg. Die haben mir eine CNC gefräste Holzdecke und eine Außendusche von Road Shower eingebaut. In das schwarz lackierte Rohr auf dem Dachträger passen ungefähr 24 Liter Wasser. Es wird in der Sonne warm, dann mit Luftdruck rausgepresst und man kann warm duschen.

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Das Leben im Transporter: Man sitzt mit einer Flasche Weißwein auf dem Bett und guckt aus den Flügeltüren heraus. Es ist perfekt.

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Was machst du mit all dem Kram, den man so zum Leben braucht?

Ich bin in den Transporter mit drei Sporttaschen, einem Rollkoffer, einem Weekender für die Reisen und einer Kite-Tasche eingezogen. Und zack, war er total vollgestopft und ich musste abends immer alles auf die Vordersitze räumen, damit ich schlafen konnte. Dann habe ich mich auf eine 50-Liter-Tasche reduziert und alles andere nach Hause geschickt – ich besitze also gerade zwei lange und drei kurze Hosen, zwei Hemden und einen Haufen T-Shirts. Im Winter würde das echt ein Problem werden, weil schon eine Winterjacke meinen Kleiderschrank im Transporter voll macht. Ich nehme also in den Süden nur eine Notfall-Tasche mit Wintersachen mit, falls ich mal nach Deutschland fliege.

Mittlerweile hat sich alles gut eingespielt – anfangs war ich aber skeptisch, was das Leben im Transporter angeht. Und natürlich gab es auch einige Hürden. Zum Beispiel habe ich mich gefragt, wo ich zur Toilette gehen kann, oder ob ich in der Stadt einfach auf einem Parkplatz an der Straße schlafen kann.

Und wie haben sich diese Fragen für dich geklärt?

Ich bin da reingewachsen und schnell zum Experten geworden. Die Szene ist ja groß und wenn man andere Leute mit einem Bus oder Transporter trifft, spricht man über alles und tauscht Tipps aus. Und es gibt auf Facebook Gruppen, in denen man sich informieren kann. Meine ersten richtig guten Tipps für Hamburg habe ich zum Beispiel von einem Typen bekommen, dem ich ein Kiteboard verkauft habe. Der hat mir einen Schlafplatz gegenüber von den Landungsbrücken empfohlen und da bin ich am selben Abend hin. Man hat da den Blick auf Blankenese, sitzt mit einer Flasche Weißwein auf dem Bett und guckt aus den Flügeltüren heraus. Es ist perfekt. 

Ich mag diesen Druck, sich abends einen neuen Schlafplatz suchen zu müssen.

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Wie lange kann man in Hamburg überhaupt im Transporter wohnen? Im Herbst und Winter wird es ja ziemlich kalt.

Ja, der Herbst überrascht mich etwas. Mein Plan war, bis Oktober hier zu sein und dann in die Wohnung nach Köln zurück zu gehen. Die habe ich behalten, weil ich am Anfang total Angst hatte, dass ich nach zwei Wochen im T5 einen Rappel kriege und zurück will. Das Gegenteil ist aber passiert – jetzt habe ich total Angst davor, zurück in eine Wohnung gehen zu müssen.

Außerdem mag ich diesen Druck, sich abends einen neuen Schlafplatz suchen zu müssen. Deshalb überlege ich, ob ich mit dem Bus langsam Richtung Frankreich fahre und dann über Portugal weiter nach Spanien komme. Meine Kunden sitzen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz und jetzt beginnt die Saison, wo ich die besuche und eh ein bis zwei Mal in der Woche unterwegs bin. Und Billigfliegern sei dank, ist es aus Portugal genauso teuer dorthin zu fliegen, wie aus Hamburg.

Gibt es keine Möglichkeit, in Hamburg geschützt im Transporter zu übernachten?

Man darf ja in Deutschland eigentlich nicht länger als eine Nacht an ungekennzeichneten Orten campen. Und diese eine Nacht darf man auch nur im Auto schlafen, wenn man sich nicht mehr fahrtüchtig fühlt. Ich bin gerade also jeden Abend entweder angetrunken oder müde. In den geschützten Hallen stellt man seinen Bus eher dauerhaft für den ganzen Winter ab.

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Alles, was ich gefühlt gerade besitze, ist mein T5. Das habe ich auch schon böse zu spüren bekommen.

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Welche emotionalen Sicherheiten hast du gerade?

Keine. Alles, was ich gefühlt gerade besitze, ist mein T5. Ich habe das ganz böse zu spüren bekommen, als ich vor ein paar Wochen mit meinen Kite-Jungs auf einer Ostseetour war und wegen einer Kleinigkeit einen Termin bei einem Mechaniker in Rostock ausmachen musste. Da zeigte sich dann, dass das ganze Fahrwerk kaputt ist – ich hing also drei Tage in Rostock fest und musste mir ein Hotelzimmer nehmen. In dem Moment habe ich gemerkt, was ich gerade ohne den Transporter bin.

Welche Rolle spielen momentan Freunde in deinem Leben?

Eine große Rolle auf der einen Seite, weil ich unfassbar viele Bekannte habe und darunter eine Handvoll Menschen, die mir richtig wichtig sind. Auf der anderen Seite bin ich gerade aber auch ganz gern und bewusst alleine. Jede Beziehung zu einem Menschen birgt auch die Gefahr, enttäuscht zu werden. Momentan bin ich in meinem eigenen kleinen Kosmos sehr glücklich.

Machst du Pläne über den Winter hinaus?

Ich habe Ziele, aber keine konkreten Pläne. Aber das hatte ich noch nie wirklich in meinem Leben. Je konkreter man Pläne macht, desto weniger hält man sie ein. Ich würde eher sagen, dass ich Träume habe – Reisen kickt mich zum Beispiel gerade total. Früher musste ich immer unbedingt jemanden mitnehmen um so ein Sicherheitsnetz zu haben, falls was passiert. Jetzt habe ich gerade das Mount Everest-Basecamp für nächstes Jahr gebucht und überlege, ob ich den Dezember auf Sansibar oder in Peru verbringe. Wenn ich gerade keinen Flug gebucht habe, fühlt sich das nicht gut an für mich.

Danke für das Gespräch, Jan!

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Hier findet ihr Jan Fischer:

Fotos: Pelle Buys

Interview: Anissa Brinkhoff

Layout: Carolina Moscato

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