Jérémy Bellina hat für das Töpfern seinen Job aufgegeben

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29. April 2020

Manche Menschen sind wirklich Naturtalente. Auch wenn Jérémy Bellina sicherlich sagen würde, dass alles Übungssache ist, scheint das Töpfern ihm einfach zu liegen. Der gebürtige Franzose war auf der Suche nach einem handwerklichen Hobby als Ausgleich zu seinem Job im Supply Chain Management – und entdeckte seine Leidenschaft für die Töpferei. In Berlin – wohin es ihn nach Zwischenstopps in Schweden, den Niederlanden und weiteren Orten der Liebe wegen verschlug – hat er mittlerweile sein eigenes Studio, in dem er ganz besondere Keramik herstellt. Wir haben mit dem 31-Jährigen darüber gesprochen, wie er zum Töpfern gekommen ist, was ihn daran begeistert und wieso er seine Freunde damit schon ansteckt.

 

homtastics: Wie hast du dein Interesse am Töpfern entdeckt?

Jérémy Bellina: Das war eher zufällig. Vor etwa zwei Jahren hatte ich viel Freizeit und hatte Lust, etwas Neues zu lernen. Damals habe ich viel mit Beton gearbeitet und experimentiert, habe zum Beispiel Übertöpfe für Pflanzen gemacht. Irgendwann kam mir der Gedanke, dass es schön wäre, wenn die Sachen, die ich produziere, auch für Lebensmittel geeignet wären. Also habe ich gegoogelt, wie ich meine eigenen Schüsseln herstellen könnte, und dann wurde mir eben das Herstellen eigener Keramik vorgeschlagen.

Also bist du von Beton auf Ton umgestiegen?

Ich habe mir eine Woche frei genommen und nach einem Workshop gesucht, wobei ich allerdings nichts gefunden habe, was meinem Budget entsprach. Ich habe geschaut, wie viel eine Töpferscheibe kostet – und die hat fast genauso viel gekostet wie der Workshop. Also habe ich beschlossen, es mir selbst beizubringen. Ich habe mir dann jede Menge Videos angeschaut und hatte den Eindruck, dass das so schwer nicht sein könnte. Damit lag ich falsch! (lacht)

Ich habe die Töpferscheibe gekauft, habe mich eine Woche lang in der Garage meiner Mutter in Frankreich eingeschlossen und habe mithilfe einiger YouTube-Tutorials losgetöpfert.

Das Interview führt homtastics-Autorin Josefine Andrae.

Aber du hast dich der Herausforderung gestellt?

Ich habe die Töpferscheibe gekauft, habe mich eine Woche lang in der Garage meiner Mutter in Frankreich eingeschlossen und habe mithilfe einiger YouTube-Tutorials losgetöpfert. Nach einer Woche war ich wirklich begeistert. Gegen Ende der Zeit habe ich sogar ein paar gute Ergebnisse erzielen können und festgestellt, dass es zwar wirklich schwierig ist, ich aber nicht schlecht darin bin.

Weißt du noch, was du zuerst getöpfert hast?

Weil ich anfangs noch geübt habe, habe ich die Gegenstände nie gebrannt, sondern direkt wieder kaputtgemacht, um weiter mit dem Ton zu üben. Aber ich habe vor allem mit Tassen und Zylindern angefangen. So wird es einem auch in Tutorials empfohlen.

Töpferscheibe, Brennofen und alles weitere Equipment hat Jérémy sich selbst zugelegt.

Ich dachte mir: Ich bin in meinen Dreißigern, ich sollte mal die Art von erwachsener Person werden, die gerne handwerklich tätig ist. (lacht)

Keramik von Jérémy Bellina.

Wie ging es nach deinem Urlaub weiter?

Als ich nach Berlin zurückkam, habe ich nach einem Ort gesucht, an dem ich töpfern kann, und nach etwa drei oder vier Monaten mein kleines Studio gefunden. Sehr günstig, seinerzeit noch ausreichend Platz und in der Nähe meiner damaligen Arbeitsstelle – also perfekt. Ich habe mir dann noch einen Ofen zum Brennen der Keramik gekauft. Durch die nötigen Anschaffungen ist es anfangs kein günstiges Hobby, aber langfristig gesehen geht es, vor allem im Vergleich zu anderen kostspieligen Hobbys.

Du hast dir hier deinen eigenen Ort zum Töpfern eingerichtet?

Ich mache einfach gerne Dinge mit meinen Händen, so wie auch mein Vater, der gerne Zeit beim Basteln in der Garage verbracht hat. Und genau so einen Ort für mich wollte ich auch gerne haben. Ich dachte mir: Ich bin in meinen Dreißigern, ich sollte mal die Art von erwachsener Person werden, die gerne handwerklich tätig ist. (lacht) In Berlin ist das nur leider schwierig mit der Garage. Anfangs habe ich hier auch nicht nur Keramik gemacht, sondern Dinge repariert, Regale gebaut und, und, und. Nach und nach hat sich herausgestellt, dass mir Keramik am meisten Spaß macht.

Wie hast du das Studio gefunden?

Im Internet, über Kleinanzeigen. Die Dame, die es mir vermietet, nutzt die restliche Fläche als Lager, hat aber auch mal getöpfert und schien sich zu freuen, dass ich hier töpfern möchte. Aktuell bin ich auf der Suche nach einem größeren Studio, aber das Problem ist, dass viele Vermieter sich Sorgen wegen des Töpferofens machen. Aber es ist ja nicht so, dass ich hier über offenem Feuer meine Keramik brennen würde. (lacht) So ein Ofen ist wahrscheinlich sicherer als herkömmliche Mikrowellen oder Toaster, aber das verstehen viele nicht.

Keramik in der Rohfassung, vor dem Glasieren und Brennen.

Wieso willst du dich vergrößern?

Ich würde gerne mit Workshops anfangen und hier ist einfach nicht ausreichend Platz dafür. Ab und zu kommen Leute vorbei, aber mehr als zwei geht einfach nicht.

Was gefällt dir am besten daran, mit den Händen zu arbeiten?

Es ist sehr entspannend. Ich bin kein sonderlich gestresster Mensch, aber damals, als ich das Hobby aufgenommen habe, brauchte ich einen Ausgleich zur Büroarbeit am Computer. Ich habe mich mit Logistik und Finanzen beschäftigt, an Systemen und Lösungen gearbeitet, aber es war eben nichts, was man anfassen konnte. Ich habe mich auch deshalb fürs Töpfern entschieden, weil man hier quasi den ganzen Prozess mitbestimmen kann.

Kannst du das näher erklären?

Ich habe Supply Chain Management studiert und auch in dem Bereich gearbeitet. Dabei lernt und versteht man zwar, wie ein Produkt entsteht und letztlich auf den Markt gebracht wird, man ist aber nur für einen sehr kleinen Teil dieses Prozesses zuständig. Beim Töpfern könntest du theoretisch alles selbst machen: in die Berge gehen und dort den Ton besorgen, ihn weiterverarbeiten, einen Gegenstand töpfern und brennen. Das hat mich echt beeindruckt. Gerade in unserer heutigen digitalen Welt liegt darin Magie. Manchmal lade ich Freunde zum Töpfern ein und es ist etwas ganz Besonderes für sie zu erleben, dass sie etwas mit Ton anfangen und etwas daraus machen können. Ich denke, uns ist im Alltag dieser magische Aspekt verloren gegangen. Wir wissen nicht mehr, wie Dinge entstehen und welche Prozesse dahinterstecken. Oft denken wir, dass es super kompliziert ist, dabei ist es vielleicht gar nicht so schwierig. Das wiederzuentdecken war wirklich interessant für mich.

Ich denke, uns ist im Alltag dieser magische Aspekt verloren gegangen. Wir wissen nicht mehr, wie Dinge entstehen und welche Prozesse dahinterstecken.

Was fandest du daran besonders spannend?

Es bringt dich dazu, noch mehr Dinge selbst machen zu wollen. Sobald du ein größeres Behältnis getöpfert hast, fühlst du dich unbesiegbar. (lacht) Wenn ich einen Satz Schüsseln schaffe, dann schaffe ich auch noch so viel mehr!

Wann wurde aus dem Töpfern mehr als ein Hobby?

Das passierte im Sommer 2018, als ich viel Energie in meinen Bürojob steckte, aber wenig Anerkennung dafür erhielt. Auch interessante Projekte gab es wenig. Ich ging nicht mehr gerne zur Arbeit und mir wurde immer mehr bewusst, wieviel Zeit ich dort verbrachte. Diese Zeit könnte ich doch auch in etwas investieren, das mich tatsächlich glücklich macht: das Töpfern. Es war also eine logische Rechnung: Geh nicht mehr ins Büro und verbringe mehr Zeit im Keramikstudio. Nach ein paar Wochen wurde ich viel besser darin, Gefäße herzustellen und hatte schon mein ganzes Excel-Wissen vergessen (lacht). Heute konzentriere ich mich in Vollzeit auf die Keramik.

Wie hast du mit der Zeit deinen persönlichen Stil entwickelt?

Durchs Experimentieren. Ich habe keinen Hintergrund in Kunst oder Design, sondern in der Wirtschaft. Deswegen fällt es mir echt schwer, meinen Stil zu beschreiben. Manchmal kommen mich hier Leute besuchen, die viel mehr Ahnung von Design und Ästhetik haben als ich, und die dann sagen: „Oh, dieses Blau erinnert mich an Yves Klein!“ Und ich nicke nur und google später, was sie gesagt haben. (lacht) Meistens haben die dann sogar recht!

Ich mag es sehr minimalistisch, was die Formen angeht. Die Formen, die man zum Beispiel in traditioneller japanischer Keramik sieht, die finde ich sehr ansprechend. Gleichzeitig fällt mir immer wieder auf, dass ich Geometrie in ihrer simpelsten Form mag. Für mich ist eine Tasse ein Zylinder mit einem Kreis kombiniert. Geometrische Formen gefallen mir einfach sehr gut. Meine Arbeiten entwickeln sich mehr und mehr zu simplen geometrischen Formen. Wenn du sie auf die richtige Art und Weise miteinander kombinierst, dann entsteht tatsächlich ein brauchbarer Haushaltsgegenstand.

Jérémy experimentiert gerne mit Farben und Glasuren.

Ich ging nicht mehr gerne zur Arbeit und mir wurde immer mehr bewusst, wieviel Zeit ich dort verbrachte. Diese Zeit könnte ich doch auch in etwas investieren, das mich tatsächlich glücklich macht: das Töpfern.

Und zu welchen Farben greifst du am ehesten?

Ich mag es, die simplen Dinge mit etwas Schickem zu verschönern. Auf Instagram sieht man gerade oft eine recht rohe, extrem minimalistische Optik und das ist nichts, was ich sonderlich gerne mag. Ich finde, das sieht alles etwas traurig aus. Ich tendiere stattdessen dazu, die simplen Formen mit glänzenden Farben zu verzieren. Die Kombination mag ich: das einfache Design zusammen mit tollen, glänzenden Farben.

Frustriert es dich, wenn Dinge nicht ganz perfekt werden?

Anfangs gab es natürlich vieles, das ich noch nicht konnte. Ich habe dann aber einfach geübt und wurde mit der Zeit viel besser. Wenn ich unter Zeitdruck stehe, ist es frustrierend, wenn etwas kaputtgeht. Zum Glück bin ich aber noch nie komplett an einer neuen Aufgabe gescheitert. Nicht, dass ich besonders gut wäre, aber ich habe kein Problem damit, zu einem späteren Zeitpunkt von vorne anzufangen.

Wo verkaufst du deine Keramik?

In ein paar Läden, aber ich muss zugeben, dass ich das bisher nicht groß verfolgt habe. Instagram klappt auch ganz gut als Verkaufsplattform, weil Leute mir da schreiben und fragen, ob sie etwas kaufen können. Ich mache aber auch einiges auf Kommission. Wenn es also ein Café gibt, das gerne seine eigenen Tassen machen möchte, arbeite ich mit ihnen zusammen.

Dieser Verkaufsaspekt ist etwas, das mir nicht sonderlich viel Spaß bereitet. Das frisst so viel Zeit und Energie. Wenn ich einfach nur Sachen herstellen könnte und mich um nichts Anderes kümmern müsste – sei es nun Marketing oder Storytelling –, wäre mir das viel lieber. Ich will nicht einmal unbedingt meinen Namen auf meinen Produkten sehen, ich bin einfach nur damit glücklich, sie zu machen.

Was macht deiner Meinung nach ein richtig gutes Keramikprodukt aus?

In erster Linie muss es funktional sein und sich in den Händen gut anfühlen. Der Rest, die Farben und so weiter, sind Geschmacksfrage. Und ob ein Produkt dich im Alltag glücklich macht ist wichtig.

Ein Sack Ton kostet etwa sechs Euro. Man kann also einfach Ton kaufen und sich in seiner Küche austoben, mit der Hand erste Stücke formen.

Welchen Rat würdest du Leuten geben, die das Töpfern gerne ausprobieren möchten?

Es gibt so viele Kurse und Workshops! Wenn man also etwas Geld übrig hat, ist das eine gute Option. Ich hatte es damals nicht und habe das leider nicht machen können, was vielleicht nicht die cleverste Herangehensweise war. Ich wollte aber zu dem Zeitpunkt auch nur ungern mit anderen zusammen in einem Raum sein und die Frustrationen des Lernens mit ihnen teilen müssen. Wenn man etwas sozialer veranlagt ist als ich, sind Kurse eine tolle Sache! (lacht) Und wenn das Geld fehlt: Ein Sack Ton kostet etwa sechs Euro. Man kann also einfach Ton kaufen und sich in seiner Küche austoben, mit der Hand erste Stücke formen. Equipment braucht man gar nicht unbedingt. Fürs Brennen kann man zu einem Töpfer in der Nähe gehen und ihn bitten, das zu übernehmen.

Vielen Dank für das Interview, Jérémy!

 

Hier findet ihr Jérémy Bellina:

Layout: Kaja Paradiek

 

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