Ralf Nietmann – von der Werbung zur freien Kunst

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8. März 2018

Wer regelmäßig durch die Hamburger Neustadt kommt, dem ist Ralf Nietmann vielleicht schon einmal begegnet – zumindest in Form seiner Kunst. Denn dort liegt, in einem Ladenlokal in der Nähe des Michels, sein Atelier, in dessen Schaufenster Ralf wechselnde Arbeiten ausstellt. Manchmal bleiben Touristen vor dem Schaufenster stehen und möchten ein Bild kaufen. Das ist auch möglich, solange Ralf nicht gerade mit nassem Pinsel über einem Bild sitzt, empfängt er gerne Gäste. Wir treffen den 47-jährigen Künstler und Illustrator, der gebürtig aus Osnabrück kommt, in seinem Atelier und seiner Wohnung, um mit ihm darüber zu sprechen, wie er von der Werbebranche zur Kunst gekommen ist, wie er seine Motive – von Reiseszenen über Frauenköpfe bis zu Stillleben – findet, und welche Arbeit ihn besonders reizt.

 

homtastics: Wie siehst du dich selbst: als Illustrator, Künstler oder Grafikdesigner?

Ralf Nietmann: Als Künstler, aber das war nicht immer so. Ich habe Grafikdesign studiert und eine Ausbildung zum Druckvorlagen-Hersteller gemacht. Also war ich früher mehr mit Grafikdesign beschäftigt. Gezeichnet habe ich aber immer schon.

Du hattest nicht vor, Künstler oder Illustrator zu werden? Wie bist du dahin gekommen?

Damals war Design für mich am fassbarsten. Ich zeichne, seit ich denken kann – das war sicher auch ein Schwerpunkt meiner Design-Arbeiten, dass ich da immer künstlerisch herangegangen bin. Wenn in den Werbeagenturen, in denen ich gearbeitet habe, jemand gebraucht wurde, der zeichnen kann, musste immer ich ran. Das ist ja nicht immer gegeben, dass Grafikdesigner zeichnen können.

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Ralfs Atelier liegt in der Martin-Luther-Straße 8 in Hamburg.

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Ich kann auch heute noch Grafikdesign machen und dir ein Logo entwickeln, aber mein Schwerpunkt ist die Kunst.

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… Das heißt, das Zeichnen hat dich immer begleitet? Oder hast du es irgendwann wiedergefunden?

Eher wiedergefunden. Ich habe zeichnerisch irgendwann eine eigene Sprache gefunden. Das Handwerk des Zeichnens habe ich lange Zeit nicht künstlerisch benutzt, ich habe es eher instrumentalisiert. Vor ein paar Jahren hat sich meine berufliche Situation verändert und ich hatte mehr Zeit, mich auszudrücken. Und irgendwann habe ich gesagt: Ich bin mehr Künstler und weniger Grafikdesigner. Ich kann auch heute noch Grafikdesign machen und dir ein Logo entwickeln, aber mein Schwerpunkt ist die Kunst und da will ich auch hin. Bei Illustrationen ist es schwer, eine Grenze zwischen Kunst und Illustration zu ziehen. Ich sage oft: Illustration ist mit einem Auftrag verbunden und Kunst ist eher der eigene Auftrag, den man sich gibt. Stilistisch einen Unterschied zu machen zwischen Kunst und Illustration, ist eigentlich Quatsch.

Jetzt hast du eine unverkennbare, individuelle künstlerische Sprache. Weißt du noch, wann du sie gefunden hast?

Das ist noch gar nicht lange her, keine zehn Jahre. Ich kann das schwer an einem Datum festmachen, es hat sich entwickelt. Ich war vor rund sieben Jahren beruflich im Umbruch und habe begonnen, mich intensiver mit meinen Bildern auseinanderzusetzen.

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Ich arbeite direkt auf dem Blatt und schaue, was passiert, oft auch ziemlich planlos.

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Wir dürfen einen Blick in Ralfs gesammelte Werke werfen, die er in zahlreichen Kisten sowie Schränken im Atelier aufbewahrt.

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Mit welchen Materialien arbeitest du am liebsten?

Im Grunde immer mit Aquarell und wasserlöslichem Buntstift. Ich zeichne mit diesem Stift und wenn die Aquarelltusche den Stift touchiert, löst er sich manchmal auf. Der Stift soll aber als Linie erkennbar bleiben. Aquarellfarbe ist für mich ein Medium, das Flüchtigkeit und Leichtigkeit ins Bild bringen kann. Es wird damit zufälliger und unkontrollierbarer. Das möchte ich immer provozieren: nicht die Kontrolle verlieren, aber dem Zufall den größtmöglichen Raum geben. Ich arbeite direkt auf dem Blatt und schaue, was passiert, oft auch ziemlich planlos. Hinterher gehe ich vom Blatt weg und denke: Wenn ich mir vorher einen Plan gemacht hätte, wäre es so nicht passiert.

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Portraits, Stillleben, Architektur, Flora und Fauna, … Deine Motive sind sehr vielseitig. Gibt es einen Themenbereich, in dem du dich am wohlsten fühlst?

Architektur ist ein Thema, welches mir gut gefällt, letztlich aber durch einen Job provoziert wurde. Was mich jedoch immer wieder fasziniert und inspiriert, ist die Natur. Flora und Fauna, in einem figürlichen Sinne. In meinen Bildern finden sich auch viele Frauengesichter und Torsen. Manchmal höre ich, die Gesichter hätten einen bestimmten Ausdruck und man könnte sehen, wie es ihnen geht … Ich bin erstaunt, was die Leute in meinen Bildern sehen, denn es ist oft von mir nicht beabsichtigt.

Wie findest du Motive und Inspiration? Passiert es eher zufällig, dass du weißt: Das möchte ich jetzt zeichnen oder malen?

Es gibt zwei Situationen. Die eine ist, wenn ich im Urlaub oder auf Reisen bin und mich etwas inspiriert – dann interpretiere ich es und bilde es nicht eins zu eins ab. Das heißt, ich verlasse die Vorlage und gebe etwas Neues und Eigenes hinzu. 

… Du arbeitest nicht mit Fotos?

Manchmal ist es zeitlich nicht möglich, gleich zu zeichnen, dann mache ich ein Foto. Das schaue ich mir dann abends an und versuche, die Situation noch mal einzufangen. Wenn ich ein bisschen Zeit habe, mache ich vor Ort eine Schwarz-Weiß-Zeichnung, die ich später koloriere. Am schönsten ist es, wenn ich es komplett vor Ort malen kann, da reicht schon eine halbe Stunde. Wenn ich dich jetzt portraitieren würde, wäre es eine andere Situation als wenn du mir ein Foto geben würdest. Es würde auch etwas Anderes herauskommen. Bei einem architektonischen Motiv braucht man aber ein Foto. Dann musst du gut recherchieren und dir gleichzeitig Spiel lassen, sodass du es nicht abzeichnest. Je mehr Vorlagen du hast, desto schwieriger ist es, sich von ihnen zu lösen.

Die andere Situation ist, wenn es an Vorlagen fehlt und es gar keinen Anlass gibt – dann gehe ich spontan ans Papier und zeichne aus dem Kopf. Die meisten meiner Frauenportraits entstehen so, da gibt es keine Vorlagen. In diesen Situationen weiß ich vorher nicht, was herauskommt. Das ist die freieste und verrückteste Situation und man fragt sich hinterher, wie man darauf gekommen ist.

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Wenn ich keinen Auftrag habe, zeichne ich trotzdem jeden Tag. Eigentlich bin ich immer am Zeichnen.

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Links: Ralfs Wohnzimmer, rechts: Ralf mit einem neuen Werk

Dein Motto lautet: „Die Vorstadt will keine Großstadt sein.“ Was steckt dahinter?

Ich arbeite viel mit Wortwitzen, mir fallen dann Dinge ein wie „Rosa ist schlecht – und die Schuhe erst“. Das kommt aus der Werbewelt, in der ich jahrelang gearbeitet und Konzepte gemacht habe. Es macht mir einfach Spaß, mit Worten zu spielen. Dieses Motto, „Die Vorstadt will keine Großstadt sein“, habe ich schon ganz lange und damals aus einer Laune heraus gesagt. Es geht darum, sich selbst treu zu bleiben, auf sich selbst zu hören. Immer wieder zurückzukehren zum eigenen Kern, den eigenen Bauch zu fühlen. „Großstadt“ heißt in diesem Kontext, sich selbst und die eigene Stimme nicht mehr zu hören – die vielen Eindrücke machen einen wahnsinnig, sollten aber eher motivierend sein, und nicht einschüchternd.

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus? Bist du täglich am Papier?

Der Auftrag bestimmt den Tag. In diesem Sinne habe ich einen normalen Arbeitstag von Nine to Five. Ich arbeite ungern am Wochenende, da bin ich eher konservativ. Wenn ich keinen Auftrag habe, zeichne ich trotzdem jeden Tag. Eigentlich bin ich immer am Zeichnen.

Im Atelier?

Vorrangig ja. Letztes Jahr war ich manchmal in Hamburg unterwegs und wollte draußen zeichnen, bin dann aber wieder davon abgekommen. Ich genieße meinen Urlaub, aber selbst dann spüre ich den Druck, zeichnen zu müssen. Daraus entstehen die Urlaubs-Skizzen, die etliche Bücher füllen. Es ist für mich total bereichernd, diese Bücher zu haben. Das beeinflusst meine Arbeit sehr, ob auf Mallorca, in New York oder in Hamburg. Die freie Arbeit ist im Grunde das Wichtigste für mich, um Neues in Aufträge einfließen zu lassen und neue Lösungen zu finden.

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Natürlich gibt es Arbeiten, die mir nicht gefallen, die lege ich weg, auch dafür habe ich Kisten. Wenn ich dann zwei Jahre später etwas suche und mir kommen die Arbeiten wieder in die Hände, denke ich ganz oft: Das ist gut! Das ist nicht schlecht! Manche Dinge brauchen ihre Zeit.

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Zu Deinen Kunden zählen diverse Medien, wie z.B. Zeit Magazin, Brigitte, Stern, Vogue, sowie Unternehmen wie u.a. Audi, Rewe und Hermès. Musst Du noch aktiv Akquise betreiben oder kommen die Aufträge von alleine?

Meine Kunden kommen aus vielen verschiedenen Bereichen, aber ich kann das nicht beeinflussen. Auf einmal kommt da jemand, hat deine Arbeit gesehen und möchte etwas Ähnliches haben. Ich arbeite am liebsten für Editorials, weil ich da die meiste Freiheit habe. Bei Werbejobs gibt es viel mehr Vorgaben. Zur Zeit mache ich viel für Editorials im Food-Bereich. Das gefällt mir sehr, weil die Menschen in der Food-Branche cool sind. Sie haben auch eine Leidenschaft, reden mir aber nicht in die Bilder rein und ich ihnen nicht ins Kochen. Das ist sehr respektvoll, und sie haben immer Lust auf die Zeichnungen.

Was würdest du in Zukunft gerne machen oder mehr machen?

Ganz klar Portraits. Ich würde zukünftig gerne mehr Aufträge in diesem Bereich haben – egal, ob vom Foto oder live. Das ist eine andere Arbeitssituation – viele Leute kaufen bereits fertige Bilder bei mir, die Bilder sind schon da und sie suchen sich etwas aus, da muss ich nichts mehr machen. Das menschliche Portrait ist für mich der persönlichste Auftrag, den es gibt und für beide Seiten extrem spannend. Das finde ich sehr reizvoll und stellt für mich die größte Herausforderung dar. Ich würde mich über Portraitanfragen sehr freuen. 

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Zu Hause bei Ralf: Die schöne Altbauwohnung in Hoheluft teilt sich Ralf mit seinem Freund.

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Der Couchtisch aus Holz war eine Maßanfertigung.

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Das Foto über dem Sofa zeigt Ralf – und ist inspiriert von Picasso.

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Ist es dein Ziel, letztlich von freien Arbeiten leben zu können?

Sich unabhängig zu machen, ist in zunehmendem Alter auch ein Thema. In der Werbebranche hätte ich mich ab Ende dreißig gefragt, wo es hingehen soll, in die Geschäftsführung oder wohin sonst? Als Künstler ist es nicht einfacher, aber ich habe mehr Freiheit.

Kommt es noch vor, dass dir deine Arbeiten nicht gefallen?

Natürlich gibt es viele Sachen, die mir nicht gefallen, die lege ich weg, auch dafür habe ich Kisten. Wenn ich dann zwei Jahre später etwas suche und mir kommen die Arbeiten wieder in die Hände, denke ich ganz oft: Das ist gut! Das ist nicht schlecht! Manche Dinge brauchen ihre Zeit. Bei manchen weiß ich sofort, dass das nichts ist. Das passiert aber auch umgekehrt, manchmal bin ich zuerst ganz geflasht und später denke ich: Nee, das ist zu dekorativ, zu gefällig. Deswegen ist Abstand gut. 

Du wirst von der Agentur Upper Orange in Berlin vertreten. Findest du es wichtig, eine Agentur zu haben? Würdest du das jungen Künstlern empfehlen?

Ja, definitiv. Ich muss mich „nur“ um das Visuelle kümmern, um das Monetäre streitet sich dann der Agent (lacht). Bei mir laufen alle Jobs über die Agentur, das ist befreiend. Wenn jemand zu mir ins Atelier kommt und ein Bild kaufen möchte, rufe ich natürlich nicht in Berlin an, aber da merke ich: Ich muss den Preis kommunizieren und muss es auch aushalten, wenn es dem Kunden zu viel Geld ist oder er es sich gerade nicht leisten kann. Es gibt ja das Sprichwort: Kunst und Kommerz schließen sich aus. Wenn man die Möglichkeit hat, die beiden Bereiche personell zu trennen, dann sollte man das auf jeden Fall machen, zumindest ausprobieren. Es ist natürlich eine Vertrauenssache. Man sollte darauf achten, dass man sich wohl fühlt und dass die Agentur die eigenen Arbeiten gut findet. Sonst wird es schwierig. Man darf allerdings nicht denken, dass es sofort losgeht mit den Aufträgen, nur weil man eine Agentur hat.

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Im Arbeitszimmer hängen sowohl Werke von Ralf als auch von befreundeten Künstlern.

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Wie liegen die Preise für deine freien Arbeiten?

Die Preise der Drucke richten sich nach Format und kosten ab 140 Euro. Die Originale kosten ab 500 Euro. Bei Originalen finde ich es wichtig, dass man sie sich persönlich anschaut. Wenn jemand in Ruhe gucken und mit mir sprechen möchte, dann ist es gut, einen Termin zu vereinbaren. Denn wenn es um Originale geht und man meine Kisten durchgucken möchte, muss man Zeit mitbringen und ich muss Zeit haben. Ich möchte mich den Kunden dann auch ganz widmen können.

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Hier findet ihr Ralf Nietmann:

Shop: https:ralfnietmann.tictail.com

Martin-Luther-Straße 8, Hamburg

Fotos: Sophia Mahnert

Layout: Carolina Moscato

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